Schadensersatz bei Aufhebung eines Vergabeverfahrens

Nicht selten kommt es im Laufe des Vergabeverfahrens zu Situationen, aufgrund derer sich der Auftraggeber zu einer (Teil-) Aufhebung des Verfahrens oder einer Zurückversetzung entscheidet. Bieter, die sich dadurch benachteiligt fühlen, insbesondere weil sie glauben ohne Aufhebung/Zurückversetzung Bestbieter gewesen wären und somit den Zuschlag erhalten hätten, fragen sich dann, welche Ansprüche sie gegen den Auftraggeber haben. Zum einen geht es dabei um Erstattung des für die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Aufwands (sog.negatives Interesse), aber auch um die Erstattung des Gewinns, der dem Bieter dadurch entgeht, dass er den Zuschlag nun nicht erhält (sog. positives Interesse).

Anforderungen an einen Schadensersatz

Durch die Einleitung eines Vergabeverfahrens und die Teilnahme daran entsteht zwischen öffentlichen Auftraggeber und dem Bewerber/Bieter ein vorvertragliches Schuldverhältnis (sog. c.i.c.) Damit entstehen auch gegenseitige Rücksichtnahmepflichten, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen kann. Eine solche Pflichtverletzung stellt die unberechtigte Aufhebung/Zurückversetzung eines Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber dar. §§ 17 VOB/A, 63 VgV regeln die Gründe, die einen Auftraggeber berechtigen ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben oder zurückzuversetzen. Diese sind:

  • Es ist kein Angebot eingegangen, das den Bedingungen entspricht
  • Die Grundlagen des Vergabeverfahrens haben sich wesentlich geändert
  • Es wurde kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt
  • Andere schwerwiegende Gründe bestehen

Immer gilt aber, dass der Aufhebungsgrund nicht durch den öffentlichen Auftraggeber selbst verursacht sein darf. So liegt z.B. kein Aufhebungsgrund vor, wenn der Auftraggeber im Laufe des Verfahrens feststellt, dass die Planung fehlerhaft ist und dies vorher erkennbar gewesen wären. Fehlerhafte Planungen muss sich der Auftraggeber zurechnen lassen, auch wenn die Planung nicht durch ihn, sondern von ihm beauftragte Dritte, erstellt wurde.

Wichtig ist aber immer, dass der Bieter keinen Anspruch darauf hat, dass auf ein Vergabeverfahren der Zuschlag erteilt wird. Der öffentliche Auftraggeber ist immer frei darin zu jeder Zeit des Verfahrens zu entscheiden, das Verfahren nicht fortsetzen zu wollen. Er macht sich unter Umständen aber schadensersatzpflichtig.

Der Ersatz des negativen Interesses und Vertrauensschadens, also des Aufwandes, den der Bieter mit der Teilnahme am Verfahren hatte, kann nach § 181 GWB verschuldensunabhängig verlangt werden. Eine rechtswidrige Aufhebung begründet einen Anspruch. Der Anspruchsteller muss als Bieter lediglich eine „echte Chance“ gehabt haben, den Zuschlag zu erhalten, also objektiv betrachtet in die engere Wahl gekommen sein oder hätte kommen müssen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn ein Angebot abgegeben wurde, das nicht ausgeschlossen werden hätte dürfen. Die Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 GWB muss erfüllt sein. D. h. der Bieter muss gegenüber dem Auftraggeber – soweit ihm dies möglich ist – gerügt haben, dass die Aufhebung rechtswidrig war.

Schwieriger sind die Voraussetzungen für den Ersatz des positiven Interesses. Hier muss der Bieter außerdem beweisen, dass er den Zuschlag erhalten hätte und ein Zuschlag für dieses Projekt muss tatsächlich durch den Auftraggeber erteilt werden. Der Bieter muss also Bestplatzierter gewesen ein. Hebt ein Auftraggeber somit ein Verfahren auf und sieht endgültig von einem Zuschlag ab, hat kein Bieter Anspruch auf den entgangenen Gewinn.

Daneben gibt es nach einem aktuellen Urteil des BGH eine weitere Voraussetzung. Der Auftraggeber muss die erste Ausschreibung mit dem Ziel aufgehoben haben, einem Unternehmen den Zuschlag zu erteilen, der im ersten Verfahren nicht zuschlagsberechtigt war.

Urteil des BGH vom 08.12.2020 – XIII ZR 19/19

Dem Urteil des BGH vom 08.12.2020 – XIII ZR 19/19  lag folgender Fall zugrunde. Der Auftraggeber schrieb Leistungen für ein Wohngebäude aus, das zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen sollte. Aufgrund einer falschen Einschätzung der zu erwartenden Flüchtlingszahlen und um Zeit zu gewinnen, hob der Auftraggeber die Ausschreibung zu einem Zeitpunkt aus, als die Angebote bereits vorlagen. Die Klägerin hatte das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. Nicht einmal ein halbes Jahr später forderte der Auftraggeber die Klägerin erneut auf ein Angebot zur schlüsselfertigen Errichtung eines Mehrfamilienhauses abzugeben. Der Aufforderung zugrunde lag ein Bauprojekt in derselben Lage und mit dem gleichen Leistungsverzeichnis wie bei der ersten Ausschreibung. Die Klägerin hatte dieses Mal nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. Ein Dritter erhielt den Zuschlag.

Die Klägerin nimmt die öffentliche Auftraggeberin deshalb auf entgangenen Gewinn, die Kosten der Angebotserstellung und Entgelt für die Angebotsunterlagen zuzüglich Zinsen und Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Landgericht hat die öffentliche Auftraggeberin lediglich zur Zahlung der Kosten der Angebotsunterlagen verurteilt einschließlich Zinsen und anteiliger vorprozessualer Rechtsanwaltskosten und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage in voller Höhe und hinsichtlich aller Positionen dem Grunde nach stattgegeben.

Der BGH hat das Urteil aufgehoben und auf die Erstattung der Kosten für die Angebotserstellung und des Entgeltes für die Angebotsunterlagen beschränkt.

Der BGH hat dies damit begründet, dass Voraussetzung eines Anspruchs auf Erstattung des positiven Interesses auch ist, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren nicht aus sachlich und willkürfreien Gründen aufgehoben hat, sondern um den Auftrag außerhalb dieses Verfahrens an einen anderen Bieter vergeben zu können. Der BGH meint, das Verhalten des Auftraggebers müsse darauf abzielen, die Vergabe an einen in dem aufgehobenen Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Auftragnehmer zu erteilen. Nicht ausreichend ist, wenn die Aufhebung zwar vergaberechtswidrig ist, weil ein Grund nach §§ 17 VOB/A /63 VgV nicht vorliegt, es aber sonst einen sachlichen und willkürfreien Grund gibt. Dies war im konkreten Fall ein Zeitgewinn.

Bewertung und Folgen

Für die Geltendmachung des negativen Interesses ändert sich nichts. Hier bleibt es dabei, dass dieses erstattet verlangt werden kann, wenn die Aufhebung zu Unrecht erfolgt. Der BGH stellt aber klar, dass die Personalkosten für die Angebotserstellung auch ohne konkreten Nachweis des Bieters, dass er seine Mitarbeiter anderweitig hätte einsetzen können und dadurch Einnahmen erwirtschaftete, ersatzfähig sind. Als Grund führt der BGH an, dass die eingesetzte Arbeitskraft typischerweise einen Marktwert hat und bei wertender Betrachtung vom Schadensersatz nicht auszugrenzen ist.

Noch schwieriger wird aber die Durchsetzung des entgangenen Gewinns, also des positiven Interesses. Diese wird – wie gewollt – auf Ausnahmefälle begrenzt. Immer dann, wenn der Auftraggeber ein nachvollziehbares Interesse daran hat, die Ausschreibung aufzuheben, gibt es kein positives Interesse. Nur wenn die Aufhebung allein darauf zielt, einem Drittbieter, dem eigentlich der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, den Zuschlag zu erteilen, besteht ein Anspruch auf positives Interesse. Da die Beweislast für Schadensersatzansprüche beim Bieter liegt, dürfte ein solcher Nachweis nur in Ausnahmefällen gelingen. Wenn, wie der BGH ausführt, Zeitgewinn als sachlicher Grund ausreicht, sind nur noch sehr wenige Fälle denkbar, in denen der entgangene Gewinn erstattet verlangt werden kann.

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