Gelten die HOAI-Mindestsätze unter Privaten noch?

1. Problemstellung

§ 7 Abs. 1 HOAI regelt, dass die Parteien eines Architektenvertrages Vereinbarungen zur Vergütung zwar treffen können, sich die Vereinbarung aber innerhalb der durch die HOAI vorgegebenen Mindest- und Höchstsätze bewegen muss. Honorarvereinbarungen, die sich außerhalb der vorgegebenen Mindest- und Höchstsätze bewegen, sind nach § 7 Abs. 3 HOAI nur in Ausnahmefällen zulässig. Solche Ausnahmefälle sind selten und der Anwendungsbereich eng begrenzt. Treffen die Vertragsparteien eine nach der HOAI nicht zulässige Honorarvereinbarung, regelmäßig unterhalb, sehr selten oberhalb der Mindestsätze, führt es nach § 7 Abs. 5 HOAI dazu, dass die Mindestsätze der HOAI geschuldet sind. Architekten konnten deshalb auch nach Abschluss ihrer Arbeiten ein Honorar auf Grundlage der Mindestsätze geltend machen, auch wenn es zuvor eine – unwirksame – Vereinbarung über ein niedrigeres Honorar gab. Dies ist regelmäßig passiert, wenn es – aus was für Gründen auch immer – zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Bauherrn und Architekt gekommen ist.

Der EuGH hat nun aber im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland am 04. Juli 2019 – C 377/17 entschieden, dass die Vorgabe verbindlicher Mindest- und Höchstsätze gegen die Regelungen des Unionsrechts verstoße. Da im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens eine abstrakte Frage und kein konkreter Fall zu entscheiden war, hat sich der EuGH nicht dazu geäußert, ob die entsprechenden Regelungen der HOAI nur bei Beteiligung des Staates – als Auftraggeber – nicht mehr anzuwenden sind, sondern auch bei Verträgen zwischen Privaten.

2. Fallkonstellation

Mit dieser Frage hatte sich nun der VII. Zivilsenat des BGH – der immer von einer Wirksamkeit der Regelungen der HOAI ausgegangen ist – zu beschäftigen. Im zu entscheidenden Fall, Az. VII ZR 174/19 haben ein privater Auftraggeber und ein Architekt eine Honorarvereinbarung getroffen, die unterhalb der Mindestsätze liegt. Später kam es zu Streit über Mängel und der Architekt hat im Gegenzug Ansprüche auf Honorar nach Mindestsatz geltend gemacht.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht sind von der Wirksamkeit der Regelung in § 7 Abs. 1 HOAI ausgegangen und haben einen Anspruch des Architekten auf das Honorar nach Mindestsätzen bejaht.

Der BGH legt die Frage, ob die europäischen Regelungen auch einer Norm entgegenstehen, die verbietet, dass Privatpersonen ein Honorar unterhalb der Mindestsätze vereinbaren, dem EuGH vor. Der BGH deutet aber an, dass er der Auffassung ist, dass in dieser Konstellation die Regelungen der HOAI weiterhin Anwendung finden. Hintergrund ist, dass die Dienstleistungsrichtlinie, die den Regelungen der HOAI widersprechen, nur Staaten, nicht aber Privatpersonen verpflichtet und deshalb keine unmittelbare Wirkung zu Lasten solcher privater Auftraggeber haben dürfe. Nicht möglich ist nach dem BGH eine richtlinienkonforme Auslegung der Regelungen in § 7 HOAI, wonach der Gesetzgeber richtlinienkonforme Regelungen treffen wollte und deshalb die Regelungen in § 7 HOAI dahingehend auszulegen sind, dass Vereinbarungen außerhalb der Mindest- und Höchstsätze immer und nicht nur im Ausnahmefall zulässig sind. Dies widerspreche dem Wortlaut und dem Willen des Verordnungsgebers, den dieser auch im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens noch einmal ausdrücklich geäußert hat.

3. Bewertung

Die Vorlage des BGH ist aus Gründen der Rechtssicherheit sinnvoll. In Rechtsprechung und Literatur werden zu dieser Frage seit Jahren sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten, die letztlich nur der EuGH final entscheiden kann.

Nach einer Auffassung sind die Vorschriften zu den Mindestsätzen in der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen durch die deutschen Gerichte nicht mehr anzuwenden. Dies wird überwiegend damit begründet, dass eine Anwendung der vom Gerichtshof der Europäischen Union verbindlich als unionsrechtswidrig festgestellten Regelungen der HOAI dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts widerspreche (KG Berlin, Urteil vom 13. September 2019 – 7 U 87/18, BauR 2020, 666, juris Rn. 27; OLG Celle, Urteil vom 14. August 2019 – 14 U 198/18, BauR 2019, 1957, juris Rn. 20). Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie lägen vor (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. September 2019 – 23 U 155/18, BauR 2019, 1963, juris Rn. 21; Schwenker, jurisPR-PrivBauR 10/2019 Anm. 1). Der jeweiligen Partei im Gerichtsverfahren werde durch die Nichtanwendbarkeit der Mindestsätze kein subjektives Recht entzogen, da die negative Belastung nicht unmittelbar aus der Richtlinie als Anspruchsgrundlage resultiere, sondern sich aus den verbleibenden nationalen Vorschriften ergebe (Fuchs/van der Hout/Opitz, NZBau 2019, 483, 485 f.; Bitzer/Wittig, NZBau 2019, 683 f.). Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die Dienstleistungsrichtlinie der Beseitigung von Hindernissen für die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern diene (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Oktober 2019 – 1 U 74/18, BauR 2020, 671 = NZBau 2020, 171, juris Rn. 28; Schwenker, jurisPR-PrivBauR 10/2019 Anm. 1).

Nach anderer Ansicht haben die Mindestsätze der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiterhin Geltung, bis der nationale Gesetz- und Verordnungsgeber den verbindlichen Preisrahmen aufhebt (vgl. Gundel, BauR 2020, 23, 30; Sturmberg, BauR 2019, 1505, 1511). Auch wenn grundsätzlich eine unmittelbare Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie anzunehmen sei, könne die Richtlinie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV nur staatliche Körperschaften in ihren Rechtsverhältnissen binden und keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfalten (KG Berlin, Beschluss vom 19. August 2019 – 21 U 20/19, BauR 2019, 1947, juris Rn. 38 ff.; Pfeiffer, IBR 2019, 1145). Eine „horizontale Direktwirkung“ sei ausgeschlossen, da hierdurch Rechte und Pflichten für Einzelne begründet würden und bei unmittelbarer Geltung der Richtlinie diese dem einen Privaten etwas nähme, was sie dem anderen gäbe (KG Berlin, Beschluss vom 19. August 2019 – 21 U 20/19, BauR 2019, 1947, juris Rn. 51 ff.).

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH diese Frage entscheidet. Persönlich tendiere ich gegen die Ansicht des BGH, da die Dienstleistungsfreiheit nur durchgesetzt werden kann, wenn die Regelungen in § 7 HOAI auch unter Privaten nicht mehr gelten. Nicht zu verhehlen ist aber, dass die Entscheidung des EuGH eine Vielzahl bisher nicht geklärter Folgefragen mit sich bringt, in Fällen, in denen die Parteien überhaupt keine Honorarvereinbarung getroffen haben.

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.