Vergütungsanspruch nach einvernehmlicher Vertragsaufhebung wie nach freier Kündigung
Der Bundesgerichthof hatte am 26.04.2018 – VII ZR 82/17 einen Fall mit erheblicher Bedeutung für die Baurechtspraxis zu entscheiden. Dabei entschied der Bundesgerichtshof gleich drei Fragen, die in der Baupraxis eine große Rolle spielen, nämlich:
- Führen Angaben zu Vordersätzen in Leistungsverzeichnissen zu vertraglichen Vereinbarungen über die Vordersätze?
- Welchen Anwendungsbereich hat § 2 Abs. 3 VOB/B bei Eingriffen des Auftraggebers in den Bauablauf?
- Hat der Auftragnehmer nach einvernehmlicher Vertragsaufhebung einen Vergütungsanspruch, wenn die Parteien keine Regelung getroffen haben, und wie ist der Vergütungsanspruch zu berechnen?
I. Sachverhalt
Dem Urteil des BGH lag ein Fall zugrunde, indem ein öffentlicher Auftraggeber Bauleistungen für den Ausbau der Bundesautobahn A 19 ausschrieb, die u.a. die Vorhaltung einer Stahlgleitwand von 14,8 km für 588 Tage zu Einheitspreisen enthielt. Nachdem sich die Zuschlagserteilung fast zwei Jahre länger als ursprünglich vorgesehen verzögerte, ordnete der Auftraggeber während der Ausführung erhebliche Beschleunigungsmaßnahmen an. Folge war, dass die Stahlgleitwand nicht 588 Tage, sondern nur 333 Tage eingesetzt wurde. Die Parteien trafen keine Regelung, welche Folgen der vorzeitige Abbau haben sollte, die Auftragnehmerin baute die Stahlgleitwand ab, nachdem deren Vorhaltung nicht mehr erforderlich war und die Auftraggeberin den Abbau anordnete.
Die Auftragnehmerin verlangte nun Vergütung für infolge vorzeitiger Vertragsbeendigung nicht erbrachte Leistungen in Höhe von ca. EUR 100.000,00.
II. Entscheidung des Bundesgerichtshof
Während das Landgericht die Klage noch abgewiesen hatte, gaben das Oberlandesgericht und auch der Bundesgerichtshof der Klage statt und verurteilen den Auftraggeber zur Zahlung in voller Höhe.
Das Oberlandesgericht hat dabei angenommen, dass die in den Vordersätzen enthaltene Vorhaltedauer von 588 Tagen vertraglich vereinbart ist. Dies hat der BGH dann nur noch auf Rechtsfehler überprüft, also darauf, ob eine solche Vertragsauslegung, gegen zwingende Auslegungsregeln oder Denkgesetze verstößt. Dies war nicht der Fall. Der Bundesgerichthof hat nicht geprüft – und dies ist auch nicht seine Aufgabe – ob die vom Oberlandesgericht vorgenommene Vertragsauslegung in diesem Punkt richtig war.
Der BGH hat weiter angenommen, dass keine (Teil-)Kündigung des Vertrages durch den Auftraggeber vorlag, sondern die Parteien den Vertrag (teilweise) einvernehmlich aufgehoben hatten. Er musste deshalb die Frage, ob eine nicht schriftlich erfolgte freie Kündigung wirksam ist nicht entscheiden.
Folge war, dass der BGH „nur“ noch die Frage entscheiden musste, ob der Vergütungsanspruch der Auftragnehmerin auf § 2 Abs. 3 VOB/B folgte, ob § 8 Abs. 1 VOB/B gilt oder etwas ganz anderes.
Der BGH hat diese Frage dahingehend beantwortet, dass § 2 Abs. 3 VOB/B nur diejenigen Fälle erfasst, in denen es zu Änderungen der Vordersätze kommt, ohne dass diese Änderungen auf Eingriffen in den ursprünglichen Leistungsbestand beruhen. Liegen solche (auftraggeberseitigen) Eingriffe vor ist § 2 Abs. 3 VOB/B nicht anwendbar.
Dann greift nach Auffassung des BGH § 8 Abs. 3 VOB/B, der mit § 648 S. 2 BGB nahezu identisch ist, mit der Folge, dass der Auftraggeber einen Anspruch auf Restvergütung hat und sich nur dasjenige anrechnen lassen muss, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
III. Bewertung
Wenig überraschend ist die Entscheidung der Gerichte zur Auslegung von § 2 Abs. 3 VOB/B. Dass § 2 Abs. 3 VOB/B bei Massenänderungen aufgrund von nachträglichen Änderungsanordnungen des Auftraggebers nicht anwendbar ist, entspricht der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsprechung und juristischen Literatur.
Knackpunkt der Entscheidung sind zwei Punkte, die eng mit der Vertragsauslegung verknüpft sind und zwar die Frage, ob Vordersätze vertragliche Vereinbarungen wiedergeben und die Anwendung von § 8 Abs. 1 VOB/B, § 648 S. 2 BGB.
Damit überhaupt Überlegungen zur Frage der Vergütung wegen Teilkündigung auftreten können, ist erste Voraussetzung, dass eine bestimmte Leistung überhaupt vertraglich vereinbart ist, hier 588 Tage Vorhalten der Stahlgleitwand.
Dies ist bei Vordersätzen nicht eindeutig und regelmäßig durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Insbesondere bei zeitabhängigen Positionen möchte der Auftraggeber, wenn die Leistungen schnell gehen als ursprünglich gedacht, nicht teilkündigen. Auch dürfte regelmäßig nicht davon auszugehen sein, dass der Auftraggeber sich durch die Angabe zeitlicher Mengenvordersätze binden will. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht wie hier 588 eingetragen ist, sondern eine offensichtlich gegriffene Zahl wie 1, 10 oder 100 und sich die Vorhaltedauer nur aus weiteren Unterlagen, z.B. einem Bauzeitenplan ergibt.
Ob die Beurteilung des Oberlandesgerichts richtig war, kann anhand des veröffentlichten Sachverhaltes nicht überprüft werden.
Nicht sachgerecht ist dagegen meines Erachtens die Entscheidung im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 8 Abs. 1 VOB/B im Falle der einvernehmlichen Vertragsaufhebung. § 8 Abs. 1 VOB/B regelt die Folgen einer freien Kündigung, von einvernehmlicher Vertragsaufhebung ist dort nicht die Rede. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit einer einvernehmlichen Vertragsbeendigung ohne ausdrückliche Regelung über die Vergütung nicht gesehen hat und hier eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.
Für den Fall einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung enthalten weder BGB noch VOB/B eine Regelung. Somit ist wie regelmäßig bei Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen durch Auslegung zu ermitteln, was die Parteien wollten. Dabei kann und muss natürlich auch auf die Umstände abgestellt werden, z.B. ob der Auftragnehmer einem Auslösungswunsch des Bestellers nachkommt oder was sonst Ursache für die Vertragsaufhebung war. Die vom BGH aufgestellte Ansicht, dass bei fehlender Vereinbarung regelmäßig die Folgen einer freien Kündigung greifen sollen, geht aber fehl. Ebenso wahrscheinlich ist, dass die Parteien gerade nicht wollen, dass noch ein Vergütungsanspruch besteht. Ansonsten hätten sie den Vergütungsanspruch in der Aufhebungsvereinbarung wohl geregelt.
IV. Auswirkungen auf die Praxis
Die Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis sind immens und v.a. für Auftraggeber mit erheblichem Risikopotential verbunden. Sowohl bei der Angabe von Vordersätzen als auch bei der Vereinbarung von Vertragsaufhebungen ist zukünftig große Vorsicht geboten.
Auftraggebern kann nur geraten werden bei zeitabhängigen Positionen keine konkreten Zahlen anzugeben, sondern sich mit 1, 10 oder 100 zu begnügen. Auftragnehmer müssen für Ihre Kalkulation dann auf andere Dokumente, z.B. einen Bauzeitenplan zurückgreifen.
Zudem ist nun für Auftraggeber zwingend die Frage der Vergütung im Rahmen einer Vertragsaufhebung zu regeln. Ansonsten kann auch eine Vertragsaufhebung, die auf Wunsch des Auftragnehmers erfolgt, für den Auftraggeber finanziell schmerzhafte Folgen haben.