Grundwissen: Nachbarschutz im vereinfachten Genehmigungsverfahren

I. Gesetzliche Regelung

Die Änderungen der Landesbauordnungen (LBO) in den letzten Jahrzehnten haben dazu geführt, dass für die Errichtung vieler Bauvorhaben, insbesondere Wohnhäuser, die Durchführung eines formellen Baugenehmigungsverfahrens nicht mehr erforderlich ist. Zudem wurde die strenge Trennung zwischen (gewichtigeren) genehmigungspflichtigen und sog. verfahrensfreien Vorhaben anderer Arten aufgehoben. Neu hinzugekommen ist das Kenntnisgabeverfahren sowie in Baden-Württemberg seit 2010 das vereinfachte Genehmigungsverfahren. Von den verfahrensfreien Bauvorhaben unterscheiden sich Bauvorhaben, die unter die Vorschriften des Kenntnisgabe- oder vereinfachten Genehmigungsverfahrens fallen, dadurch, dass für ihre Errichtung an sich eine Baugenehmigung erforderlich ist, sie aber im Einzelfall vom Erfordernis einer Baugenehmigung freigestellt werden.

Das vereinfachte Genehmigungsverfahren liegt im Grenzbereich zwischen genehmigungsfreien und genehmigungspflichtigen Bauvorhaben. Die Besonderheit des vereinfachten Genehmigungsverfahrens besteht darin, dass nur ein eingeschränkter Prüfungsumfang für die Baurechtsbehörde besteht. Nach § 52 LBO Baden-Württemberg prüft die Behörde lediglich die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit Bauplanungsrecht (BauGB), die Einhaltung der Abstandsflächen und die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften außerhalb der LBO, dies aber mit Einschränkungen. Ziel der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens ist entgegen dem ersten Eindruck nicht das Bauen zu erleichtern. Vielmehr ist Ziel Entlastung der zuständigen Baubehörde. Dies hat zur Folge, dass der Bauherr auf eigenes Risiko baut, da die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung fehlt und somit die Baurechtsbehörde wegen aus den Antragsunterlagen eigentlich erkennbarer Rechtsverstößen auch nach Jahren noch einschreiten kann.

Eine Folgefrage ist, ob die Baugenehmigungsbehörde auch beim vereinfachten Verfahren mehr prüfen kann oder sogar unter bestimmten Umständen muss. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Wird man maßgeblich auf das Ziel der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens also die Entlastung der Behörde, ab, kann die Antwort wohl nur lauten, dass die Baugenehmigungsbehörde mehr prüfen darf, aber nicht muss.

Die Einschränkung der Genehmigungspflicht hat auch Auswirkungen auf den Nachbarschutz. Dies betrifft besonders die Frage, was gilt, wenn nachbarschützende Vorschriften des Baurechts verletzt sind, diese aber außerhalb des Prüfprogramms im vereinfachten Genehmigungsverfahren liegen.

II. Rechtsprechung

Mit der Frage, ob ein Nachbar gegen eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung mit der Begründung vorgehen kann, in (nicht geprüften) nachbarschützenden Vorschriften verletzt zu sein hat sich nun auch der für Baden‑Württemberg zuständige Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit befasst. Der VGH, Beschluss vom 16.02.2016 – 3 S 2167/15 ist in seiner Entscheidung der weit überwiegenden Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe gefolgt und hat entschieden, dass die im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigungen rechtmäßig sind. Die Baurechtsbehörde musste nicht prüfen, ob die beantragte Baugenehmigung nicht gegen sonstige nachbarschützende Vorschriften verstößt. Den Verstoß gegen solche Vorschriften kann der betroffene Nachbar nicht mit Widerspruch und Anfechtungsklage rügen.

III. Folgen

Die Entscheidung des VGH Mannheim entspricht der Rechtsprechung der anderen Obergerichte zu diesem Thema. Ein Nachbar kann gegen eine Verletzung nachbarschützender Rechte, die im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nicht Prüfprogramm sind, nicht durch Klage gegen die Genehmigung vorgehen. In anderen Bundesländern fehlt im Prüfprogramm  z. B. auch das Abstandsrecht.  Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Baubehörde ein falsches Prüfprogramm zugrunde gelegt hat und entgegen den gesetzlichen Anforderungen bestimmte Vorschriften im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft hat.

Der VGH Mannheim hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, welche Möglichkeiten der Nachbar dann hat. Zu dieser Frage haben aber bereits verschiedene Gerichte (VGH München, Beschluss vom 21.01.2013 – 9 CE 12.918; OVG Magdeburg, Beschluss vom 20.06.2012 – 2 M 38/12) Ausführungen gemacht. Danach hat der Nachbar nur die Möglichkeit einen Antrag auf behördliches Einschreiten zu stellen und diesen dann mit einer Verpflichtungsklage oder einem Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO geltend zu machen. Ob eine Behörde einschreitet liegt aber in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Schutz des Nachbarn ist deshalb wesentlich schwächer ausgeprägt als beim Vorgehen gegen eine Baugenehmigung. Dies gilt jedenfalls nach dem Gesetzestest. Einige Obergerichte haben allerdings entschieden, dass bei Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften das Ermessen der Behörde regelmäßig auf null reduziert ist, sie also in jedem Fall einschreiten muss. Diese Frage beurteilen die Obergerichte allerdings nicht einheitlich, der VGH Baden-Württemberg hat sich zu dieser Frage bisher nicht geäußert.

Neben diesen verwaltungsgerichtlichen Rechtschutzmöglichkeiten hat der Betroffene Nachbar aber auch die Möglichkeit nach §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 906 BGB und den jeweiligen Schutzvorschriften der Landesbauordnung gegen ein Bauvorhaben des Nachbarn auf dem Zivilrechtsweg vorzugehen.

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