Glasbruchrisiko infolge von Nickelsulfid-Einschlüssen bei ESG

Einscheibensicherheitsglas (ESG) ist ein Baustoff, der insbesondere bei vorgehängten Glasfassaden zum Einsatz kommt. Einscheibensicherheitsglas ist thermisch vorgespannt. Das führt zu einer erhöhten Stoß- und Schlagfestigkeit und einer Unempfindlichkeit gegenüber großen Temperaturunterschieden. Außerdem führt die innere Spannung dazu, dass Einscheibensicherheitsglas im Bruchfall in kleine Scherben zerfällt, was erheblich zur Sicherheit des Glases beiträgt. Trotzdem führt der Bruch von Scheiben, die an einer Fassade in größerer Höhe eingebaut sind, zu erheblichen Gefahren, insbesondere für Passanten. Deshalb sind Spontanbrüche von ESG ein Problem, mit dem sich die Baubranche immer wieder auseinandersetzen muss.

1. Bruchursachen für Spontanbrüche

Ursachen der Spontanbrüche von ESG können Nickelsulfid-Einschlüsse sein. Diese entstehen durch kaum vermeidbare Verunreinigungen des Glases beim Herstellungsprozess und sind in der intakten Scheibe nicht erkennbar. Diese Nickelsulfid-Einschlüsse vergrößern ihr Volumen durch Phasenumwandlung und verfügen außerdem über einen höheren Temperaturausdehnungskoeffizient als das Glas. Durch Sonneneinstrahlung und längerfristige Temperatureinwirkungen können so innere Spannungen entstehen, die zum Glasbruch führen.

Im gebrochenen Glas sind Nickelsulfid-Einschlüsse durch die typische Schmetterlingsform der Bruchausgangsstelle erkennbar. In der Mitte der sogenannten Schmetterlingsflügel ist, jedenfalls unter dem Mikroskop, der Einschluss solcher erkennbar. Die mikroskopische Untersuchung ist aber für eine eindeutige Festlegung der Ursache nicht ausreichend, da es auch andere Materialverunreinigungen geben kann, die als Ursache für den Spontanbruch in Betracht kommen. Für eine eindeutige Bestimmung der Bruchursache ist also eine chemische Untersuchung erforderlich, die nicht ganz billig ist.

2. Heißlagerung und ESG-H

Um die Risiken von Spontanbrüchen in Folge von Nickelsulfid-Einschlüssen zu minimieren, wurde die Heißlagerung entwickelt. Dabei wird das ESG für die Dauer von circa 12 Stunden in einem Heißlagerungsofen bei circa 290° gelagert (sogenannter heat-soak-Test). Heiß gelagertes ESG wird als ESG-H bezeichnet und ist als neues Bauprodukt in die Bauregelliste aufgenommen.

Durch die Heißlagerung sollen Gläser mit Nickelsulfid-Einschlüssen aussortiert werden. Allerdings besteht auch bei ordnungsgemäßer Durchführung der Heißlagerung ein Restrisiko von Spontanbrüchen, dass aber wesentlich geringer ist als bei ESG. Die DIN EN 14179-1 beziffert das statistische Restrisiko mit einem Bruch auf 400 Tonnen Glasmasse.

3. Restrisiko von Glasbrüchen als Baumangel

Für die Frage eines Baumangels ist nicht allein entscheidend, ob die vertraglich vereinbarte Ausführungsart und die anerkannten Regeln der Technik eingehalten sind. Nach der Rechtsprechung ist maßgeblich, ob das hergestellte Werk die vereinbarte Funktion erfüllen kann. Eine Glasfassade kann ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn es keine Glasbrüche gibt. Der Bundesgerichtshof geht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 08. Mai 2014 (VII ZR 203/11) noch einen Schritt weiter. Er hält eine Glasfassade nur dann für mangelfrei, wenn kein Risiko eines Glasbruches aufgrund von Nickelsulfid-Einschlüssen besteht. Da sich das Restrisiko von Nickelsulfid-Einschlüssen technisch nicht ausschließen lässt, ist eine mangelfreie Errichtung einer ESG-Glasfassade nicht möglich, wenn sich die Parteien nicht von vornerein darauf verständigt haben, dass ein Restbruchrisiko die vertraglich vorgesehene Funktion nicht beeinträchtigt.

4. Hinweispflicht des Unternehmers

Jeder Unternehmer, der ESG oder ESG-H verwendet oder nach der Leistungsbeschreibung verwenden muss, sollte auf das bestehende Restrisiko hinweisen und eine vertragliche Vereinbarung zum Ausschluss dieses Risikos mit dem Auftraggeber treffen. Das gilt insbesondere dann, wenn die im Leistungsverzeichnis vereinbarte Ausführungsart nicht geeignet ist, eine Funktionstauglichkeit des Werkes sicherzustellen. Ohne einen entsprechenden Hinweis des Unternehmers oder eine vertragliche Vereinbarung liegt das Risiko zunächst auf Seite des Unternehmers.

5. Haftung und Mitverschulden des Auftraggebers

Wenn Nickelsulfid-Einschlüsse die Funktionalität des Werkes beeinträchtigen, ist die Werkleistung insgesamt mangelhaft. Allein das Risiko, dass weitere Spontanbrüche auftreten, auch wenn Nickelsulfid-Einschlüsse noch nicht erkennbar sind, begründet einen Mangel der Werkleistung. Wenn aber nur das Restrisiko von Nickelsulfid-Einschlüssen nach ordnungsgemäß durchgeführter Heißlagerung besteht, kann der Auftraggeber nicht die Beseitigung der Mängel verlangen. Die Beseitigung dieser Mängel ist unmöglich, sodass dem Auftraggeber lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz und Erstattung der Aufwendungen nach § 311 a BGB zusteht (BGH, Urteil vom 08.05.2014, VII ZR 203/11). Außerdem muss sich der Auftraggeber ein Mitverschulden zurechnen lassen, wenn er die Risiken der Verwendung von ESG oder ESG-H kannte.

Das könnte dich auch interessieren …

Eine Antwort

  1. Olaf Schiemenz sagt:

    Vielen Dank für den fachlich und rechtlich ausführlichen Beitrag. Es ist aus meiner Sicht unangemessen, das Risiko und die Kosten des spontanen Glasbruchs auf den Auftraggeber / Besteller zu legen. Das BGH Urteil sorgt hier für Schadensersatz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.